
Der Grenzübertritt Georgien – Türkei zog sich 3,5 Stunden. Auf georgischer Seite ging alles ruckzuck. Doch auf türkischer Seite ist nur ein Schalter für die Passkontrolle und ein Schalter für die Fahrzeugpapiere geöffnet. Jens Geduld hängt am Seidenfaden. Ich ignoriere das Separieren der Insassen und bleibe im Auto. Es interessiert niemanden. Glück gehabt. Die anderen vorher separierten Insassen warten hinter der Grenze ungeduldig auf ihre Fahrer.
Wir wollen nach Kappadokien. Vor uns liegen etwa 1 000 Kilometer. Unser erster Stopp ist noch am Schwarzen Meer. An einem Fluss übernachten wir in einem kleinen Camp und besuchen eine Teeplantage in Rize. Der Tee aus der Schwarzmeerregion soll von guter Qualität sein. Wir trödeln, warten die Regenschauer ab und trinken Tee.
Wir übernachten irgendwo abseits in einem Dorf im Garten eines Restaurants, die eine eigene Fischzucht haben.
Nach einem kleinen Spaziergang in der morgendlichen Kälte fahren wir weiter. Diesmal gar nicht so weit, da wir die Sonne genießen wollen. Wir bleiben an einem See. Am nächsten Morgen nehmen wir einen kleinen Umweg nach Kangal, dort wo die hübschen Kangals gezüchtet werden. Gern möchten wir so einen Hund, der uns hier ständig über den Weg läuft. Beim ersten Züchter sind wir gar nicht erst rein. Der Blick in den Hof schreckt uns ab. Massenzucht unter katastrophalen Bedingungen. Man könnte heulen. Die nächste Zuchtstation sieht ansprechender aus. Zumindest haben hier die Tiere ein großes Gehege. Etwa 20 Zuchtrüden und ebenso viele Hündinnen. Eine dreimonatige Hündin würden wir gern mitnehmen. Doch wir erfahren, es dürfen keine Kangals aus der Türkei ausgeführt werden. Es kostet an der Grenze hohe Strafen und den Hund. Wir könnten vom Tierarzt falsche Papiere bekommen. Wir meinen, jeder Zollbeamte wird wohl einen Kangal erkennen. Schweren Herzens entscheiden wir uns dagegen. Auch können wir dem Welpen auf unserer Reise kein richtiges Zuhause bieten. Ein Kangal benötigt ein Revier.
Wir übernachten an einem Fisch-Spa-Hotel. Eine hübsche Anlage mit Bachlauf und Thermalwasser mit „therapeutischen“ Fischen und verschiedenen Pools. Jens lässt seine Füße und Beine beknabbern, ich bin nach ein paar Sekunden wieder aus dem Wasser. Ist mir zu ekelig.
Unser nächstes Ziel ist der ruhende Vulkan Erciyes. Vor uns liegt eine Fahrt durch Zentralanatoliens wunderschöne Landschaft in 1 600 bis 2 000 Meter Höhe. Kilometerweit keine Ortschaft, hin und wieder einmal ein Gehöft, dann taucht nach 50/60 Kilometer eine Stadt wie aus dem Nichts auf. Die Weite ist erstaunlich. Die Straßen sind sehr gut ausgebaut und in einem guten Zustand. Es begegnen uns kaum Autos.
Am Fuße des Vulkans in 2 200 Meter Höhe weht frische Luft. Der Berg ist 3 917 Meter hoch, die Region ein Skigebiet. Wir bekommen gleich Lust auf Wintersport. Die Saison beginnt aber erst im Dezember. Die Lifte sind auch für den Sommerbetrieb geöffnet. Wir wollen ein Stück den Berg hochwandern. Doch das ist nicht erlaubt. „No hiking“. Also nehmen wir am Morgen die Gondel, fahren auf 2 400 Meter und laufen noch ein gutes Stück nach oben. Das ist erlaubt.
Nicht weit entfernt vom Vulkan gibt es ein Vogelschutzgebiet. Das Territorium ist gut mit Laufstegen ausgebaut. Doch außer Blässhühner haben wir (fast [Foto])keine anderen Vögel beobachten können. Für 100 Euro hätte man uns mit Boot eine Vogelbeobachtung bieten können. Blättern denn all die Touristen das viele Geld hin? Wir finden es unverschämt. Die offiziellen Eintrittspreise in der Türkei sind völlig ok, im Verhältnis zu Deutschland günstiger. Für Museen und Attraktionen haben wir einen Museumspass gekauft. Gültig ist er 15 Tage und kostet umgerechnet knapp 50 Euro.
Wir dürfen auf dem Gelände übernachten und starten am nächsten Morgen in der Frühe ins Ihlara -Tal.
Nach einem reichhaltigen Kahvalti (Frühstück) unternehmen wir eine fünfstündige Wanderung in der Schlucht. Die ersten sieben Kilometer sind ein offizieller bzw. für den Tourismus ausgebauter Weg. Die nächsten sieben Kilometer sind landschaftlich schöner und interessanter. Leider ist nichts mehr ausgeschildert und der Weg nicht immer eindeutig. Wir treffen lediglich auf zwei Fischer, eine Schafherde mit ihrem Schäfer, zwei Männer, die uns Walnüsse schenken und eine Kuhherde mit ihrem Hirten. Das Tal ist eine Schlucht, rechts und links mit aufragenden Felswänden mit ehemaligen Höhlenwohnungen und -kirchen aus dem 9. bis 13. Jahrhundert. So richtig kommen wir gar nicht voran, da wir nur mit Gucken und Fotografieren zu tun haben. Die einzigartige Landschaft in Kappadokien ist den Vulkanen Erciyes, Güllü und Hasan zu verdanken. Die ausgespuckte Tuffasche hat sich zu Tuffstein verfestigt und durch Erosion bildete sich diese märchenhafte Landschaft. Der Legende nach, der Spielplatz der Götter.
Mit dem Taxi lassen wir uns zurück zum Camper bringen, um dann wieder zum Endpunkt unserer Wanderung nach Selime zu fahren. Dort gibt es eine Felsen-Kathedrale, die wir am nächsten Morgen besichtigen. Der frühe Vogel fängt den Wurm – das gilt auch für Besichtigungen. Wir haben das Areal für uns allein.
Auf dem Weg nach Göreme besichtigen wir eine Untergrundstadt. Diesmal hätten wir gern einen Guide gehabt, denn selbst Jens war es zu gruselig, die Gänge im Untergrund allein zu gehen. Mehrere Stockwerke geht es nach unten. Doch leider gibt es keine Führung, nicht einmal einen Plan auf Papier. Diese unterirdischen Städte bauten sich die ersten Christen als Zufluchtsstätte. In bis zu acht Stockwerken unter der Erde mit einem ausgeklügelten Lüftungssystem und vielen Gängen lebten dort vermutlich bis zu 20 000 Menschen. Beeindruckend.
In Göreme suchen wir einen Campingplatz auf. Wir benötigen dringend eine Waschmaschine. Mit uns ist noch ein Zeltler auf dem Gelände – es ist keine Saison mehr, für uns umso schöner.
Uns begeistert die bizarre Landschaft und kommen aus dem Staunen nicht heraus. Um hier in dieser Gegend herumzustromern, bleiben wir vier Tage. Doch zuerst braucht unser Camper dringend einen Haushaltstag. Der Staub aus dem Iran und aus Georgien sitzt überall.
Frühmorgens starten eine Vielzahl von Heißluftballons gen Himmel. Ein schönes Schauspiel. Wir können es sehr gut von unserem Stellplatz aus beobachten. In unmittelbarer Nähe ist einer der Startplätze. Es muss beeindruckend sein, diese einmalige Landschaft von oben zu sehen. Wir unternehmen keine Ballonfahrt. In den Körben finden bis zu 28 Personen Platz. Wie wir beobachten können, sind diese auch entsprechend besetzt. Der Spaß kostet 230 Euro. Heißluftballonmassentourismus. Am nächsten Morgen starten wieder die Ballons, doch nach und nach fallen sie zusammen und landen nach kurzer Zeit wieder. In Kappadokien herrschen weltweit die besten Bedingungen für Ballonfahrten, das heißt 270 Tage im Jahr können die Heißluftballons starten. Heute muss einer der anderen 95 Tage sein. In Geröme gibt es ein Openair Museum. Touristen aus aller Welt werden in Buskolonnen hierhergebracht. Wir drehen um und gehen unsere eigenen Wege, denn ganz Kappadokien ist ein Openair Museum. Überall wohin man auch fährt, läuft, schaut, sind wir fasziniert von der bizarr geformten Landschaft. Außerdem ertragen wir die vielen Gerüche von Aftershave und Parfüm nicht. Doch amüsant ist es allemal, wie aufgeputzt die Damen aus den Bussen steigen.
Statt einer Ballonfahrt unternehmen wir eine wunderschöne Wanderung im Tal und in den Felsformationen. Es macht Spaß in den Felsen aus Tuffgestein zu kraxeln. Immer den richtigen Weg zu finden, ist nicht ganz einfach. Tatsächlich gibt es inmitten der Felsen eine Erfrischungsoase. Frischgepresster Orangen- und Granatapfelsaft. Herrlich.
Ungern verlassen wir dieses schöne Plätzchen Erde, aber irgendwann muss man weiter. Erst gegen Mittag fahren wir los Richtung Ankara. Wir legen einen Stopp in Sultanhani an einer Karavanserei aus dem 13. Jahrhundert ein. Der Besuch lohnt leider nicht. Sie ist für meine Begriffe viel zu modern restauriert. Der Ort selbst hat, außer vieler Souvenir Shops, nichts zu bieten. Vergebens suchen wir nach Früchten und Gemüse in den verschiedensten Lebensmittelläden. Weiter geht es zu einem Salzsee, dem Tuz Gölü mit einem Salzgehalt von 32,9%. Unser Weg führt über die Dörfer. Wir sind etwas schockiert über den Zustand der Straßen, den Anblick der wenigen Dörfer und der trocknen Landschaft, eine Graswüste. Landwirtschaft wird hier unter extremen Bedingungen betrieben. Nun ist uns auch klar, warum es kein Obst und Gemüse zu kaufen gibt.
Der See hat leider eine traurige Geschichte. Einst nisteten hier die türkischen Rosaflamingos. Aufgrund einer Dürre 2021 wurde das Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung umgeleitet und die Vögel verstarben. Auch bei unserem Besuch können wir kein Wasser sehen, wir laufen auf einer Salzkruste.
Wir entscheiden uns, nicht nach Ankara zu fahren. Zu stressig ist die Stellpaltzsuche. Stattdessen wollen wir noch ein paar kultur-historische Orte aufsuchen. Wir besuchen Hattusa, die Hauptstadt des Hethiter Reiches, eine Anlage aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., eine große Ausgrabungsstätte mit einem Rundweg von sechs Kilometer. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Gelände unter großer Beteiligung deutscher Archäologen erforscht. So kamen auch zwei Sphingen zur Restaurierung nach Berlin. Die eine blieb 95 Jahre bis 2011 im Pergamonmuseum, die andere ging 1924 nach Istanbul. Seit 2011 stehen sie wieder in der Nähe ihres Fundortes, im kleinen, aber feinen Museum im anatolischen Dörfchen Bogazkale.
In Hattusa wurde einst der älteste Friedensvertrag geschlossen - zwischen den Hethitern und den Ägyptern. Dieser Friedensvertrag von 1274 v. Chr. ist auf einer Tontafel erhalten. Eine Kopie befindet sich in New Yorker UNO-Gebäude (Vielleicht sollten die Amerikaner öfter mal darauf schauen …), das Original ist im Museum in Istanbul zu sehen. Wir werden sie noch betrachten.
Safranbolu ist unser nächstes Ziel. Wer meint, der Ort hat etwas mit Safran zu tun, liegt falsch. Doch macht man sich den Namen zunutze: Safrankaffee, Safranseife, Safransüßigkeiten, Safranpflanzen, Safranparfüm … Safranbolu gehört seit 1994 zum UNESCO Weltkulturerbe. Die alten osmanischen Häuser sind hübsch herausgeputzt, z.T. als Hotels, Restaurants, aber auch als Wohnhäuser. Der Hamam z. B. wurde 1645 eingeweiht, Moscheen stammen ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert. Wir schlendern durch die vielen Gassen. Eigentlich haben wir keinen Platz, werden aber beim Anblick der vielen angebotenen Dinge für das leibliche Wohl schwach. Vor allem, weil man die Herstellung zum Teil beobachten kann.
Zum Stellplatz kurz vor Istanbul gesellt sich ein junges Pärchen aus Bad Liebenwerda. So ein Zufall.
Wir sind in Istanbul! Die Anfahrt gestaltet sich aufgrund des starken Verkehrs, vielen Autobahnkreuzen mit Beschilderung auf Türkisch etwas schwierig. Doch wir haben unseren Stellplatz (es gibt nicht viele Möglichkeiten sein Wohnmobil abzustellen) auf einem Parkplatz von einem Fußballverein gefunden. Duschen und Toiletten können benutzt werden, 24 Stunden Bewachung – was will man mehr in einer Metropole.
Die Freude auf Istanbul ist groß. Eine Metropole zu beschreiben, die man nur knapp vier Tage besucht, ist nicht möglich. Es sind die Eindrücke: Eine irre Stadt. Istanbul ist Türkei auf chaotisch. Istanbul ist nicht die Türkei, die wir lieben. Hektik, Geschäftigkeit, niemand hat Zeit. Freundlichkeit bleibt auf der Stecke. Schwer beeindruckt sind wir von den Sehenswürdigkeiten, den alten Gebäuden aus vergangenen Jahrhunderten. Besonders beeindruckt sind wir vom Archäologischen Museum. So viele gut erhaltene Originalskulpturen, zum Teil über 2000 Jahre alt, haben wir noch nirgends gesehen. Leider wird gerade der Teil renoviert, in dem die originale Tontafel mit dem ältesten Friedensvertrag ausgestellt ist.
Wir besichtigen in kurzer Zeit die Hauptattraktionen und legen 37 Kilometer zurück. Abends fallen wir fußlahm und todmüde ins Bett.
Fußläufig benötigen wir von unserem Stellplatz 30 Minuten bis zum alten Stadtviertel. Unterwegs gehen wir an unzähligen Bekleidungsläden und Fake-Shops vorbei. Man spricht uns auf Russisch an. Hauptsprache ist hier Russisch. Russen und Ukrainer tätigen ihre Geschäfte, kaufen ganze Kollektionen. Unwissend gehe ich in ein Geschäft… Auch in den Restaurants wird Russisch gesprochen. Überhaupt sind uns viele russische Touristen begegnet. (Das soll nicht abwertend klingen, es wundert uns nur aufgrund der politischen Situation …)
Es gibt doch schöne Zufälle: Unsere lieb gewonnen Freunde aus dem Iran sind in Istanbul. Wir freuen uns auf das Wiedersehen und einen Teil ihrer Familie aus Deutschland kennenzulernen.
Auf unserer gesamten Reise ist uns bewusst geworden, dass uns große Städte und Massentourismus nerven. Schnell sehnen wir uns nach der Natur zurück.
Bevor es wieder in Richtung Heimat über Griechenland, Albanien, Kroatien, Slowenien und Österreich geht, verweilen wir ein paar Tage am Marmarameer ohne Touristen.

Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und dass man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lässt. (Adolph Freiherr von Knigge)
Unsere erste Sabbatical Reise geht langsam zu Ende. Wehmut kommt auf. Wir haben noch
1 600 Kilometer bis zu unseren Kindern vor uns.
Zurück liegen:
- Vier Monate, 16 Wochen
- 24/7 auf sieben Quadratmeter (ohne erwähnenswerte Vorkommnisse)
- knapp 15 000 Kilometer
- 11 Länder
- einmal festgefahren
- eine Reifenpanne
- ein Motorstreik wegen Elektronik und AddBlue Shit
- weder eine Schramme noch eine Beule am Auto
- vier Polizeikontrollen, die belanglos waren
- keine Krankheiten
- ganz viel Reisespaß mit tollen Erlebnissen.
- 7 Wochen Türkei, 3 Wochen Iran, 3 Wochen Georgien, eine Woche Albanien, die andren Länder mehr oder weniger durchfahren.
Erste Erkenntnis: Auf dem Weg gen Osten besitzen die Menschen weniger, haben aber mehr …
… Freundlichkeit gegenüber Fremden
… Aufmerksamkeit
… Interesse
… Zeit
Zweite Erkenntnis: Die Smarte Welt hat uns im Griff. Ob Stellplatzsuche, Navigation, Wetterinfo, Öffnungszeiten, Restaurants, Wissenslücken schließen, Kommunikation mit Freunden und der Familie – fast kein Tag ohne Smartphone – traurige Erkenntnis. Das muss sich ändern. Weihnachtswunsch: Straßenatlas und das Smartphone einfach mal im Schubfach lassen.
Dritte Erkenntnis: Wir haben eine geile Karre. Alles hat funktioniert (außer der DPF Shitt). Aber: Wir haben seine Grenzen kennengelernt. Es gibt Wege, da kommen wir einfach nicht hin. Gern wären wir auf einer anderen Route zurückgereist.
Der Entschluss ist schnell gefasst – wir brauchen ein Expeditionsmobil. Suche läuft. Keine Sorge, der Camper bleibt trotzdem.
Vierte Erkenntnis: Mann/Frau braucht weniger als man denkt
Fünfte Erkenntnis: Der Hausumbau findet erste nach dem Sabbatical statt. Bei einem Glas Wein haben wir entschieden, im März noch einmal loszufahren. Route ist noch offen.
Reisen ist das einzig Taugliche gegen die Beschleunigung der Zeit. (Thomas Mann)
